1962 - Eine Geschichte von Helga und Günter und ihrem Sideboard

 

Es ist November 1962. Eine Zeit des Wandels und der Hoffnungen. Die Rolling Stones sind gerade dabei, die Musikwelt zu erobern, während die Beatles ihr erstes Album veröffentlicht haben. Die Welt hat sich noch nicht von dem Schock über den Tod von Marilyn Monroe erholt, und Hamburg kämpft immer noch mit den verheerenden Folgen der Februarsturmflut. Die Kubakrise hat den kalten Krieg nahezu heiß werden lassen, doch in Deutschland herrscht Aufbruchsstimmung. Mit nur etwa 150.000 Arbeitslosen blickt die Bundesrepublik optimistisch in die Zukunft.

In einer kleinen westfälischen Stadt schieben Günther und Helga liebevoll ihre kleine Susanne im Kinderwagen durch die belebte Einkaufsstraße. Ihr Lächeln verrät die Freude über ihr neues Leben als Familie. Erst im Sommer, kurz nach Susannes Geburt, haben sie ihr eigenes Haus am Stadtrand bezogen. Es ist ein bescheidenes Heim, aber für sie bedeutet es die Erfüllung eines Traums. Der Kredit von fast 60.000 DM wird sie noch viele Jahre begleiten, aber für Günther und Helga ist es ein Zeichen der Hoffnung und des Mutes.

Günther, der im Stahlwerk als Vorarbeiter hart arbeitet und monatlich etwa 600 DM verdient, trägt die Verantwortung auf seinen Schultern. Helga, die sich als gelernte Friseurin ein paar Mark im Freundeskreis dazuverdient, hat ein geschicktes Händchen für die trendigen Dauerwellen. Mit dem neuen Haus und ihrem ersten Kind sind die finanziellen Mittel knapp. Viele ihrer Möbel sind Geschenke oder Erbstücke von Familie und Freunden, liebevoll zusammengestellt, um ein gemütliches Zuhause zu schaffen. Die einzige neue Anschaffung, die sie sich geleistet haben, ist die funktionale Einbauküche, die Helga sich so sehr gewünscht hat. Es ist ein kleines Luxusgut, das der Hauskredit gerade noch möglich gemacht hat, und es erfüllt Helga mit Stolz und Freude.

Während sie durch die Straßen schlendern, träumen sie davon, was die Zukunft für ihre junge Familie bereithält. Trotz der bescheidenen Umstände liegt in der Luft ein Gefühl von Aufbruch und Zuversicht.

Während sie die Straße entlangschlendern, bleibt Helga plötzlich vor einem Schaufenster stehen. "Günther, schau dir das an!" ruft sie und deutet auf ein wunderschönes, massives Sideboard, das dort ausgestellt ist. Das Möbelstück strahlt eine zeitlose Eleganz aus, mit seinen geschwungenen Linien und der glänzenden Oberfläche. "Es ist einfach perfekt für unser Wohnzimmer!" Günther tritt näher und betrachtet das Preisschild: 2500 DM. Das ist weit mehr, als sie sich momentan leisten können.

„Das ist viel zu teuer“, sagt Günther zögernd. „Aber es ist wirklich schön“, fügt er hinzu, als er den sehnsüchtigen Blick seiner Frau bemerkt. „Ich habe gehört, dass man das auch in Raten abbezahlen kann“, meint Helga hoffnungsvoll. „Vielleicht sollten wir nachfragen.“

Gesagt, getan. Die freundliche Verkäuferin erklärt ihnen, dass eine Ratenzahlung über fünf Jahre möglich ist. Auch wenn es ihr Budget bei weitem übersteigt, beschließen Günther und Helga, das Möbelstück zu kaufen. Sie sind sich sicher, dass dieses individuelle und hochwertige Stück sie ein Leben lang begleiten wird.

Ein paar Jahre später wird ihr Sohn Frank geboren. Das Sideboard wird zum Herzstück ihres Wohnzimmers und ist Zeuge vieler Familienfeste und gemütlicher Abende. Die Jahre vergehen, Susanne und Frank wachsen heran und verlassen schließlich das Elternhaus. Günther und Helga genießen ihre gemeinsame Zeit, bis Günther sechs Jahre vor Helga stirbt. Nun im Jahr 2024 ist Helga im Alter von 86 Jahren verstorben.

Susanne, mittlerweile 61 Jahre alt, und ihr Bruder Frank, 59, stehen vor der herzzerreißenden Aufgabe, das Elternhaus aufzulösen. Jeder Raum, jede Ecke dieses Hauses ist durchtränkt mit Erinnerungen an ihre Kindheit, an Lachen und Tränen, an Momente der Freude und des Abschieds. Besonders ein Möbelstück zieht ihre Blicke an: das Sideboard, das Günther und Helga vor vielen Jahren erworben haben. Dieses Sideboard ist mehr als nur ein Möbelstück; es ist ein Zeugnis der Zeit, ein stiller Begleiter ihres Lebens, das Erinnerungen atmet.

Ein Freund erzählt ihnen vom Dortmunder Vintagestore, einem Ort, an dem alte Möbelstücke nicht einfach nur verkauft, sondern mit Liebe und Hingabe restauriert und in neuem Glanz erstrahlen. Die Geschwister sind begeistert von der Idee, dass das Sideboard, das so viele Geschichten und Momente bewahrt, eine neue Chance erhält. Sie nehmen Kontakt auf und verkaufen das Sideboard sowie weitere Schätze aus dem Elternhaus an den Store.

Das Team des Vintagestores nimmt sich der Aufgabe an, das Sideboard in seiner ganzen Pracht wiederherzustellen. Es wird mit Sorgfalt und Respekt behandelt, denn sie wissen, dass es nicht nur ein Stück Holz ist, sondern ein Stück Geschichte. Jeder Kratzer, jede Kerbe erzählt eine Geschichte, und genau diese Einzigartigkeit macht es so wertvoll und unersetzlich. Der Erhalt dieses Sideboards ist ein Zeichen der Nachhaltigkeit, sowie ein Bekenntnis zur Bewahrung dessen, was einmal war.

Als Susanne und Frank das Sideboard bei einem Besuch im Vintagestore wiedersehen, erstrahlt es in einem Glanz, der es beinahe unwirklich erscheinen lässt. Es ist, als würde es ihnen sagen, dass es bereit ist, ein neues Zuhause zu finden und dort neue Geschichten zu erzählen. Sie sind zutiefst bewegt und glücklich zu wissen, dass dieses einzigartige Möbelstück weiterleben wird und neue Menschen ebenso glücklich machen kann, wie es ihre Eltern einst tat.

Das Sideboard, einst eine kostspielige Investition für Günther und Helga, hat nun seine eigene Reise angetreten. Es ist ein Symbol für Liebe, Erinnerung und Zeitlosigkeit. Und während es in einem neuen Zuhause seinen Platz findet, wird es auch weiterhin Freude bereiten und seine Geschichte weiterspinnen